Der sprachliche Ersthilfe-Koffer: Eine Salbe aus Sätzen und ein (Trost)-Pflaster aus Worten...

Hier ist der Klassiker. ER will ein Regal an die Wand im Badezimmer anbringen. Das professionelle Montage-Set liegt bereit, die Bretter und Dübel sind gekauft, die Familie hat salutiert, es kann losgehen. Erst lautsägende Bohr-Geräusche aus dem Bad, dann ein markerschütternder Schrei, dann verstummt der Bohrer. Stille. UND JETZT? 

 

Wie kannst Du in Zukunft in einer solchen Situation bewusst und weise Deine Worte wählen, wenn Du der sprachliche "Ersthelfer am Unfallort" bist?

 

Sicher. Wir alle haben von Mutti gelernt, dass Trost nach der Versorgung einer Männerwunde das beste ist, was Du nun schenken kannst. Und liebevolle Gesten, mitfühlende Worte und ein Kakao mit Schlagsahne sind auch erst einmal völlig in Ordnung.

 

Und wie kannst Du in Zukunft Deine Skills im Sprachzauber-Modul "Trösten und Beruhigen" noch deutlicher professionalisieren? 

Hier kommt der "Ersthelfer-Koffer" für verbale Salben und Pflaster und der hat es in sich.

 

Bestimmt kennst Du folgende Situation: Eine Kollegin betritt das Büro, ihre halbe Hand ist auffällig mit einem weißen Verband verhüllt, ihre Augen sind noch von Tränen gerötet, ihr Stoßseufzer wallt durch die arbeitsamen Hallen: "WAS FÜR EIN TAG!"

Selbstverständlich springt sofort eine zweite Kollegin auf und ruft erschüttert: "Oh nein! Was ist denn mit Deiner Hand geschehen?!"

 

Nach etwa fünf Minuten detaillierter Schilderung eines blutrünstigen Vorgangs während des Schneidens einer glitschigen Melone für die Familie zu Hause und dem unbeabsichtigten Filettierens der sensiblen Stelle zwischen Daumen und Zeigefinger nach dem Abrutschen des Küchenmessers ist die anfängliche Erschütterung der zweiten Kollegin mitfühlender Besorgnis gewichen.

 

Und was passiert nun? Bitte lies Dir die folgenden Sätze in Ruhe durch und überlege selbst einmal, was sie in Deinem Kopf und Deinem Körper tun:

"Oh weia, das muss ja schrecklich weh tun!"

"Aaah, warst Du beim Arzt? Das kann sich entzünden!!"

"Warum bist Du denn nicht zu Hause geblieben? Damit kannst Du doch gar nicht am Computer tippen."

"Bist Du gegen Tetanus geimpft? Das kann böse ausgehen."

"Oh, das kenne ich. Mein Mann hat vorgestern ein Badezimmer-Regal montiert und hat sich mit dem Akku-Schrauber eine spitze Holzschraube mitten in den Handteller geschossen. Das hat auch geblutet wie Sau. Wir haben eine halbe Stunde gebraucht, bis die Blutung so weit nachgelassen hat, dass wir zum Notdienst fahren konnten. Die haben dann die Reste der Schraube mit einer Pinzette aus der Wunde gekratzt. Mein Mann hat gebrüllt wie am Spieß. Krass. Du tust mir so leid. Soll ich Dir einen Tee machen?"

 

Ja, viele von uns sind genau diese Aussagen und Reaktionen sehr gewöhnt. Gerade der letzte Absatz kommt extrem häufig zum Einsatz. Ein Mensch schildert eine Herausforderung und seine Gesprächspartner kennen noch VIEL SCHLIMMERE Vorkommnisse dieser Art. Und geizen auch nicht damit, sie dem Geschädigten brühwarm aufzutischen.

 

Sprachzauberer und Hirnforscher befassen sich seit Jahrzehnten mit der Wirkung von Worten und Aussagen im Bereich der klinischen Patientenversorgung. Wie stark können Ärzte durch das Schildern von erfolgreichen Heilungsprozessen erkrankte Menschen in eine noch schnellere Genesung verhelfen? Macht es einen Unterschied, ob der Arzt zu Beginn oder am Ende seiner Untersuchung mögliche Risiken einer Erkrankung schildert?

Ja. Und wie!!

 

Die Ergebnisse dieser Studien sind sehr eindeutig. Offenbar liebt unser Gehirn in Notfallsituationen hoffnungsvolle Beispiele. 

Geschichten von Menschen, die überraschend schnell gesundet sind.

Wunden, die nach wenigen Stunden schon fest zugeheilt waren.

Bewunderung über die körpereigenen Kräfte im Bereich der Wundreinigung und Krustenbildung.

 

Frau Prof. Dr. Peters hatte bereits 2010 an der Universität Maastricht umfassende Studien zu diesem Thema abgeschlossen. Die Ergebnisse sind extrem beeindruckend:

"Optimisten erholen sich schneller von Operationen als Pessimisten, sie spüren weniger Schmerz, gehen seltener zum Hausarzt, haben einen niedrigeren Blutdruck und stecken sich in Studien weniger häufig mit Erkältungsviren an. Verletzen sie sich, heilen ihre Wunden schneller."

Quelle: Zeit Wissen, 6/2010

 

Wie kannst Du Dir, lieber Leser dieses Blogs, die Erkenntnisse von Frau Dr. Peters nun sehr einfach nutzbar machen?

Zunächst einmal:

Atme tief durch, bevor Du einem Kind, Deinem Mann, Deiner Frau, einer Kollegin tröstende Worte schenken möchtest. Denn oft sind ja auch Menschen, die Zeuge eines Unfalls werden, erst einmal ein bisschen erschrocken. Das ist auch okay so. 

Deshalb: Atmen. Deine Aufregung stillt nachweislich keine Blutung. Das steht fest.

Und bevor Du weiterliest, überlege vielleicht sogar erst einmal selbst, welche positiven Nachrichten jetzt anstelle der vielen negativen im oberen Text-Absatz in Deinem Repertoire zur Verfügung stehen. Sei ruhig kreativ. Die meisten Menschen haben es eher anders herum gelernt, deshalb ist es völlig normal, dass Du vielleicht einen Augenblick brauchst, bis positiv-tröstende Worte in einer Krisensituation den Weg in Dein Sprachzentrum finden. Und es ist ein tolles Sprachzaubertraining, wenn Du selbst erst einmal auf die Finde gehst.

 

Hier sind unsere Ideen für die Unterstützung der schnellen Beruhigung und vielleicht sogar noch besseren Heilung des Badezimmer-Kamikaze:

"Oh, das ist jetzt eine Aufgabe für echte Helden."

"Das erinnert mich daran, wie schnell Dein Knie damals nach dem Unfall mit dem Skateboard geheilt ist, weisst Du noch?"

"Ich bin gespannt, wie schnell die Blutung nachlässt."

"Wie viel besser geht es Dir jetzt schon?"

"Ich habe eine Kollegin, die hat sich vor ein paar Tagen versehentlich die Hand verletzt und konnte am gleichen Tag wieder am Computer tippen. Irre, wie schnell das oft geht mit der Wundstabilisierung!"

Hier kommt noch eine kleine Anmerkung von meinem großartigen Partner und Lebensgefährten Florian, der bei leichten Verletzungen auch gerne mal mit schwarzem Humor jongliert (was mich tatsächlich auch nach undramatischen Haushaltsunfällen mitten in der Wundversorgung zum Kichern brachte):

"Solange es noch weh tut, ist die Hand definitiv noch dran."

 

Was auch immer Dir positives einfällt - es ist wertvoll. 

Und nach dem kurzen Eingehen auf die Herausforderung würden wir nach traditioneller Sprachzauberer-Regel empfehlen, das Thema schnellstmöglich auf etwas ganz schönes, beruhigendes oder witziges zu lenken.

 

Sprecht über den bevorstehenden Urlaub, das tolle Abendessen vergangene Woche beim neuen Luxusitaliener oder die neuesten Erfolge der Lieblingsfußballmannschaft. Bei Kindern funktioniert das neu gebaute Lego-Auto als Ablenkung, ein knallgrüner Luftballon, das Angebot, zur Beruhigung erst einmal ein tolles Buch vorzulesen oder gemeinsam mit der Lieblings-Barbiepuppe zu spielen.

Als Mutter oder Vater weißt Du sowieso am Besten, was Deinen Kindern Freude bereitet.

Bitte sei bewusst bei einer kleinen Verletzung Sparsam mit Eiscreme und Co. 

Belohnungssystheme im Gehirn sind nämlich genau so wenig zu unterschätzen, wie hervorragend ausgebildeter Optimismus. Doch das ist ein anderes Thema für einen anderen Blog. ;-)

 

Eines ist uns wichtig: Sprache und Worte können hervorragende Salben und Pflaster für die erschrockene Seele bei einem kleineren Unfall sein. Und sie sind kein Ersatz für eine ärztliche Versorgung, wenn die Schraube für das Badregal zu den etwas größeren Kalibern gezählt haben sollte.

Dies ist ein Blog, der Dich dabei unterstützen kann, die Erkenntnisse aus vielen Bereichen der Kommunikationslehre im positivesten, inhaltlichen Sinn bei einem kleineren "Unglück" zu verwenden. Egal, ob es um eine Schnupfennase, einen Kopfschmerz, eine kleine Wunde oder Liebeskummer geht. Dort, wo Trost gut tut, darf er in eine positivere Perspektive geleiten. Wie ein goldenes Treppengeländer an einer Treppe, die immer weiter nach oben führt, bis es dem kleinen oder großen Patienten wieder etwas besser geht.

 

Unserer Erfahrung nach trocknen mit diesen "Sprachmustern" Tränchen tatsächlich schneller, und zwar bei großen und auch bei kleinen Abenteurern.

 

Ja, vielleicht darfst Du dieses Erzählen von positiven Geschichten erst ein bisschen üben. Und vielleicht öffnest Du ja jetzt schon entspannt Deinen verbalen Ersthelferkoffer und legst Dir für den Fall der Fälle schon mal ein paar tolle, bunte Heilungs-Geschichten-Pflaster und ein paar wunderbare Salben-Tigel mit hoffnungsvollen Anweisungen hinein. Dann brauchst Du sie im Ernstfall einfach nur heraus zu nehmen und sie zu verwenden.

 

Beste Grüße und danke für's Lesen.

Miriam